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5. Die Engeldarstellungen in der „Message Biblique Marc Chagall“ als Durchdringung und Überschreitung der Transzendenzsphäre Gottes [30]
Die Engeldarstellungen in der MESSAGE BIBLIQUE MARC CHAGALL (im folgenden MBMC abgekürzt) haben verschiedene bildnerische Aufgaben. Sie durchdringen nicht nur Raum und Zeit wie die Gedanken und Visionen von Menschen, sie stellen eine Verbindung her von der Dimension der Ewigkeit Gottes in die Zeitlichkeit dieser Welt. Die Engel Chagalls führen die Aufträge Gottes aus, ja, manchmal sind sie das Zeichen für Gott selber, für sein Handeln, für seine Seinsweisen, für seine Offenbarungen, aber auch für sein Mysterium.


Chagall nutzt für diese Darstellungen Jahwes noch andere Zeichen, die wir hier nur kurz andeuten wollen.
Zum Beispiel nimmt er als Zeichen Jahwes den Lichtkreis, in dem auch in hebräischen Buchstaben יחוח

bzw.   יחיח JHWH = Jahwe[31] oder das Doppel-Jod יי in seiner Schriftform oder als Zeichen verborgen in einem doppelten Mond, auch als Mond und Fisch oder als Sonne und Mond (Siehe Fußnote 24) geschrieben und gemalt sein kann. Verborgen malt er Jahwe hinter einer Wolke oder Feuersäule.


Chagall trennt in seinen Bildern der MBMC die Dimension der Ewigkeit Gottes von der Zeitlichkeit dieser Welt durch eine blaue „Transzendenzsphäre“[32]. Sie schützt den Raum der Heiligkeit Gottes, grenzt ihn ab und verbindet ihn mit seiner Schöpfung. Sie hat also eine Doppelfunktion der Abgrenzung und der Verbindung. Diese Doppelfunktion gilt es in dieser Arbeit weiter zu untersuchen, sie ist der Kontext in dem die Engel wirken. Sie bewachen und bewahren diese Transzendenzsphäre, aber sie überwinden und durchbrechen sie auch. In den folgenden Abschnitten wollen wir dies in den einzelnen Bildern der MBMC untersuchen.

 


5.1. DIE ERSCHAFFUNG DES MENSCHEN
(Gen 1,24ff) Gen 2,4ff


In diese blaue Transzendenzsphäre wird der Mensch durch den Jahwe-Engel hineingeschaffen. Nimmt man dazu Chagalls Bildaufbau nach der hebräischen Schriftweise von rechts nach links, so bringt der Engel den leblos schlaffen Frau-Mann-Körper heraus aus der Ewigkeit, hinein in die Zeit der Schöpfung. Des Engels Denken und Trachten aber geht nach oben, nach vorne in die Ewigkeit. Dahin wird er den Menschen auch wieder auf Flügeln tragen, wenn er den Kreislauf der Geschichte überwunden hat, so, wie das in der obersten rechten Ecke dargestellt ist.


Dieser Engel verkörpert nun den Schöpfer-Gott Jahwe selber, der durch die zwei verschiedenfarbigen Flügel die „beiden Seiten Gottes“[33] darstellt.


Auf diesem Bild sind nun gleich mehrere Formen von Engeln, wie sie Chagall nutzt, dargestellt.


1. Der Jahwe-Engel. Dieser Engel verkörpert Jahwe selbst, indem er Eigenschaften Jahwes mit verschiedenen Stilmitteln beschreibt. (siehe Anmerkung 32)


2. Der schofarblasende Engel, der damit das neue Werden einbläst, wie dies zu jedem jüdischen Neujahrsfest geschieht.[34] Diese Engel zeigen damit die biblische Tatsache auf, dass Engel immer in bedeutenden Umbruchsituationen erscheinen und neues Werden (oft durch Geburten) verkünden.


3. Die Gestirne, als Teil des Himmlischen Heeres. Sie sind in der jenseitigen linken, oberen Ecke der Transzendenz mit dem Kabod als Lichtschein[35] zu einem besonderen Zeichen verbunden. Hier sind Sonne, Mond und Stern verschlungen als Doppel-Jod und gleichzeitig als Teil des Himmlischen Heers, das den Schöpfer mit Psalm 148[36] lobt und preist.


Chagall nutzt in seinen Bildern auch weitere Astral-Zeichen für das Wirken und die Botschaft Jahwes.


4. Der Fisch mit Flügeln. Hat er hier die übrige Schöpfung als Teil des Himmlischen Heers aus Psalm 148 und als Zeichen eines Tieres der „Urflut“ (Zürcher) von Gen 1,1 mit einbezogen? Dieses Zeichen kommt noch öfters in seinen Bildern[37] vor, kann aber in dieser Arbeit nicht weiter bedacht werden.


5. Mose, mit Flügel. In diese lobpreisende Schöpfung ist auch Mose als Engel (nur mit Kopf und Flügeln) einbezogen. Er bekommt hier im Himmel zur Schöpfung schon die Gebote Jahwes angeboten und weist damit schon auf das Schlussbild dieses Bilderzyklussees hin, das als Grundfarbe in dem Goldgelb des himmlischen Kabod gehalten ist.


In den anderen Bilddarstellungen kommen noch verschiedene nichtdefinierbare Engel vor.
Hier scheint Chagall für den Aufbau des Bildes den hebräischen Buchstaben Aleph א als Vorbild genommen zu haben.

 


5.2. DAS PARADIES

Gen 2,4-25


Im Bild DAS PARDADIES sind die Hauptfarben, das „enthusiasmierte Grün“ und das „transzendente Blau“, ausgeglichen verteilt. Das „kabodisierte Gelb“ ist in der Ebenbildlichkeit des Menschen, in der „enthusiasmiertkabodisierten“ Sonne und dem Hahn vorhanden. Das „agapeisierte Rot“ (oder sollte man es hebräisch „chesedisiertes Rot“ nennen?) ist in den roten Zonen des Lebensbaumes und in den Haaren Evas zu erkennen.


Auch das Violett des Segens Jahwes ist in dem Lebensbaum und in einem Tier der Schöpfung zu sehen. Ein schofarblasender Engel verkündet dem „androgynen“[38] scheinzwitterhaften Menschen, dass er ein Gegenüber bekommt, ein Du, das zu ihm passt, Eva.


Ein Engel bringt aus der linken Ecke einen noch nicht angezündeten Sabbatleuchter. In der rechten oberen Ecke, hinter dem Jahwe-Engel, ist ein „Engel(?)“ wie ein rückwärtsblickender Vogel mit Menschengesicht gemalt.


Der Schöpfer ist in dem segnenden Engel mit den nur angedeuteten „beiden Seiten Gottes“ (siehe Anmerkung 33) und einem nur leicht ausgeführtem Stab, dem kommenden Schwert, mit seiner gesamten Schöpfung verbunden. Die kommende Trennung aus dem Paradies ist hier nur angedeutet durch das Gebot Gottes im Stab, durch die Schlange und die noch nicht angebissene Frucht. Aber auch der Versöhnungswillen Gottes ist durch die Segensgeste des Jahwe-Engels und durch die kleine Messiasfigur (?) am rechten Rand schon vorhanden.


Noch aber darf sich der Mensch in dieser Transzendenzebene aufhalten, im Paradies, und ist damit in einer selbstverständlichen Verbindung mit Gott.


Das ändert sich aber auf dem nächsten Bild.

 


5.3. DIE VERTREIBUNG
Gen 3, 1-24


In dem Bild DIE VERTREIBUNG ist alles in Aufruhr. Das Menschenpaar und die gesamte Schöpfung sind aufgeschreckt, verkehrt, in einem Hell-Dunkel-Kontrast. Deutlich ist hier die blaue Transzendenzsphäre als eine trennende Linie in die Bildkomposition einbezogen.


Der Engel, auch hier mit einem hellen, geschlossenen rechten und einem (offenen?) dunklen linken Auge dargestellt, weist das Menschenpaar mit der linken Hand und dem Schwert hinaus aus dem Bild und aus dem Paradies, während die rechte Hand die umfangende Geste beibehält. Damit weist der Engel das Menschenpaar aus dem Paradies, aber er begleitet es auch. Es bleibt noch in der Zone des „enthusiasmierten Grün“, also in Gott. Hier strahlt auch die im „Jenseitigen“ verdunkelte Sonne und der Baum des Lebens erblüht in voller Kraft, aber Adam und Eva fliehen mit geöffneten Augen in die andere Richtung.
Hat Chagall hier für den Bildaufbau den letzten Buchstaben im hebräischen Alphabet, das Taw  ת genommen? Möglich wäre es, denn die Vertreibung aus dem Paradies bedeutet das Ende der Unschuld, das Ende der Gemeinsamkeit in der Transzendenzsphäre. Von nun an gibt es ein „Hier“ und „Drüben“ und die Sehnsucht, die verlorene Unschuld wieder zu erlangen.
 


5.4. DIE ARCHE NOAH
Gen 8, 1-19


Das Bild DIE ARCHE NOAH ist, anders als die meisten Noahbilder, eine Innenschau. Nicht von außen hat Chagall die Arche gesehen, sondern von innen, von den Menschen, die in der Arche diese Flut durch das Vertrauen auf Jahwe überlebt haben. Sie wissen sich schon durch die Farbe Grün „in Gott“ - εν θεώ geborgen.


Wenn auch noch nicht alles überstanden ist, das Fenster ist schon auf. Das Blau trennt nicht, es weist den Weg zur Himmelsleiter und zu dem „Jahwe-Engel“, der, mit einem dunklen und mit einem hellen Auge und offenen Armen, die Taube, das Opfer, die Menschen annehmen will.


Hier könnte das hebräische Tet ט, das Pe פ, oder das Samech ס als Grundlage für den Bildaufbau genommen sein, die nach links oben geöffnet sind.

 


5.5. NOAH UND DER BOGEN AM HIMMEL
Gen 8,20-9,17


Das Bild NOAH UND DER BOGEN AM HIMMEL ist das letzte Bild, dass in seiner Grundfarbe in dem Grün gemalt ist, dass für das Sein „in Gott“ steht. Noah liegt gelassen sinnend in der Sphäre des transzendenten Blau, das, nun nicht trennend, sondern aufnehmend, Noah schauen lässt, was der Jahwe-Engel in seiner sprechenden Haltung sagt. Noahs Gesicht ist nun auch wie DER JUDE IN GRÜN mit einem grünen Gesicht und gelben Bart gemalt. (siehe Anmerkung 19)


Der Bogen ist nun nicht illustrierend in den Farben des Regenbogens, sondern in der Farbe der Epiphanie, dem Weiß, das nun auch zur Farbe des Bundes „beritבדיח wird.


Der Bibeltext Gen 6,5-8 ist ja hinlänglich bekannt. Chagall regt zu weiterem Hinsehen an. Er exegesiert den Bibeltext auf immer neue Weise und bezieht Themen und immer neue Assoziationen in seine Bildinhalte mit ein, an die wir kaum denken.


Das Rot der Gottesliebe wird nun auch zur Farbe des Blutes, das auf dem „Altar-Haus“ geopfert wird und wie beim Auszug aus Ägypten (Ex 12) schon an die Pfosten (hier im Bild an die Außenwand des Altar-Hauses) gestrichen ist (korbanisiertes oder minchahnisiertes Rot) [39]. Das Blut ist das Zeichen des Lebens, das der Jahwe-Engel selbst an seinem rechten Flügel trägt. Alle weiteren „himmlischen Gestalten“, außer David in der rechten oberen Ecke, sind sehr schwierig zu entziffern. Christoph Goldmann weist darauf hin, dass Chagall an diesem Bild viel experimentiert hat[40]. Ist das vom Himmel stürzende „Mythologische Tier“ wieder eine Form des „Engelsturzes“? Was bedeutet die merkwürdige Verbindung von Mose mit dem Fischarm und dem Gekreuzigten, der auch in vier Vorstudien an dieser Stelle stand?


Hier könnte ein breitgezogenes hebräisches Beth b als Grundlage für den Bildaufbau gedient haben; auch ein verdoppeltes und gespiegeltes  Beth ב. Das würde sich natürlich von dem Anfangsbuchstaben für „berit“ in dem Bild des Bundes ergeben. Der Bogen ist dann noch als Verstärkung eingesetzt.

 


5.6. ABRAHAM UND DIE DREI ENGEL
Gen 18, 1-33


Das Bild ABRAHAM UND DIE DREI ENGEL ist ganz in der Farbe der Liebe, in Rot, gehalten.[41] Dieses Rot ist noch wärmer als das Rot in den Bildern zum Hohenlied der Liebe. So wird die Sonnenglut der Mittagshitze zur Liebesglut Jahwes.


Die drei Engel in den Kleiderfarben der Theophanie (weiß), des Segens (violett) und der Transzendenz (blau) sitzen bei Abraham im Hain Mamre zu Tisch. Obwohl im hebräischen Bibeltext ausdrücklich bei den Engeln von „Männern“ die Rede ist, hat Chagall sie sehr weiblich dargestellt. Der eine Engel am Ende (oder Anfang ?) des Tisches ist mit einer merkwürdigen Korrespondenz zu Abraham gemalt. Der blaue Engel und Abraham schließen die anderen Engel wie eine Klammer ein. Beide sind mit dem Blau gemalt, das bei Chagall für die Transzendenz, die Durchlässigkeit und die Abgrenzung zwischen Himmel und Erde steht. Das Blau des Kleides von Abraham ist etwas stärker vom violett des Segen Gottes durchzogen, den Jahwe (Gen 12, 1ff) Abraham verheißen hat. Hinter beiden leuchtet das Gelb, das dem Engel als Flügel gegeben ist und das mit Abstand zu Abraham in dem dunkelfarbigerem Gelb von Abrahams Frau Sarah widergespiegelt ist. Sarah könnte so als der von dem Menschen verlorene Flügel gemeint sein, der in der Liebe von Mann und Frau die  „Einung“ bringt.


Während die Gesichter Sarahs und des Jahwe-Engels in dem gleichen Rot der Liebe gemalt ist, hat Chagall das Gesicht Abrahams in einer Farbigkeit gemalt, welche die Liebe Jahwes (rot), den Segen Jahwes (violett), die Theophanie Jahwes (weiß), die Doxa Jahwes (goldgelb), die Verklärung (grün), aber auch das Gebundensein an die Erde (braun), widerspiegelt.


In einer Gedankenblase am rechten oberen Rand ist die Fürbitte Abrahams für die Stadt Sodom dargestellt.
Jahwe offenbart Abraham sein verborgenes Handeln. Abraham in Grün-Gelb wird von zwei Engeln gestützt, während er den dritten Engel um Verschonung für die Städte Sodom und Gomorra bittet. Abraham bittet nach vielen Versuchen, nunmehr ohne Kraft, aber mit Beharrlichkeit.


Am oberen Rand führt die Hand Jahwes einen Kamelreiter durch wüstes Gebirge zu einem Baum. Damit ist der Auszug Abrahams aus Haran (Gen 12, 1ff) dargestellt. In der Vieldeutigkeit der Bildzeichen Chagalls steht der Baum nicht nur für ein irdisches Land, „in dem Milch und Honig fließt“, sondern auch für den Baum des Lebens aus dem Paradies, den Jahwe dem Abraham und seinen Nachkommen mit dem Land geben will.

 


5.7. DIE FESSELUNG ISAAKS
Gen 22, 1 ff


In der FESSELUNG ISAAKS liegt Isaak als Zeichen des Menschen, wie im Bild DIE ERSCHAFFUNG DES MENSCHEN, reglos da. Er ist bei Chagall gar nicht gefesselt. In der Farbe des „Kabod Jahwes“ liegt Isaak entspannt als Ebenbild Jahwes da. Ein Auge ist geöffnet. Die Dramatik des Bildes liegt in der Beziehung Abrahams zum Engel, in dem aufgeregten Geschehen in der rechten oberen Ecke und in der Verzweiflung Sarahs. Der Engel durchbricht im Auftrag des weißen Engels in der linken Ecke die blaue Sphäre und schreitet ein. Chagall hat Isaak in dem Kabod-Gelb mit einem geöffneten und einem geschlossenen Auge gemalt. Er weiß sich schon als das Opfer, dass Jahwe später von dem „Leidenden Gottesknecht“ Jes 52-53 fordern wird und den Chagall über diese Szene gemalt hat.


Abraham ist in das Rot des Opfers und der Liebe getaucht. Er erhebt das Messer nicht gegen seinen Sohn Isaak, sondern gegen den Engel, der aus der blauen Sphäre herausschwebt und Abraham fast bittet, das Opfer nicht zu vollziehen.

 


5.8. JAKOBS TRAUM VON DER HIMMELSLEITER

Gen 28,10 - 22


Das Bild JAKOBS TRAUM VON DER HIMMELSLEITER hat ein ungewöhnliches Format: es ist im Querformat gemalt. Wenn der Himmel nach oben offen ist, wird von den meisten Malern das Hochformat genommen. Auch Chagall hat in seinen 18 Vorstudien zu diesem Bild in den ersten fünf Entwürfen das Hochformat bevorzugt.[42] hyhy [43] oben an der Leiter geschrieben.[44] Ab der sechsten Vorstudie bedient er sich des Breitformates. Hier steht nun nicht mehr der Jahwe-Name.


Ganz nach dem biblischen Text Gen 28, 13 „Und siehe: Jahwe stand ihm gegenüber,...“ [45] (siehe Bild 12) Dies ist meist die Seite Jahwes, in der er an die Seite des Menschen tritt und sich ihnen zu erkennen gibt. hat Chagall dies schon in sein Bildformat mit einbezogen und den Jahwe-Engel in die blaue Transzendenzsphäre, die den größten Teil des Bildformates einnimmt, gemalt. Hier ist nun eines der wenigen Bilder, in denen Jahwe von rechts oben kommt. Dies geschieht in den Bildern der MBMC noch einmal bei der Offenbarung der Gebote Jahwes an Mose.


Noch ist Jakob auch im Traum von dem Jahwe-Engel abgewandt. Der schofarblasende Engel kündigt für Jakob Neues an: „Und dein Same soll sein wie der Staub der Erde, und ausbreiten wirst du dich nach Westen und Osten, nach Norden und Süden, und in dir [und deinem Samen] sollen sich segnen alle Geschlechter der Erde.“ (Gen 28,14)


In der Form der Flügel des Jahwe-Engels könnte schon dieses Ausbreiten in alle „Himmelsrichtungen“ angedeutet sein.


Aber auch den Segen, der von Jakob ausgehen soll, hat Chagall in der Farbe Violett wie einen geöffneten Vorhang einbezogen. Noch hat Jakob diesen Segen selber nicht. Erst im Kampf am Jabbok Gen 32 (siehe nächstes Bild) bekommt Jakob die Farbe des Segens: Violett. So wird der schon an Abraham verheißene Segen von Jahwe weitergereicht. Chagall hat dies auch in seine Bildkomposition einbezogen, indem die drei Erzväter in der Reihenfolge von rechts unten (beachten wir die hebräische Schreibweise!) Abraham, Isaak und Jakob angeordnet hat.


Als wichtiges Merkmal in der linken Bildhälfte hat Chagall hier die Leiter dargestellt. Auch wenn im Urtext von einer „Treppe“ die Rede ist, hat Chagall hier mit den mittelalterlichen und modernen Malern und Exegeten die Leiter zu Recht genommen. Diese Leiter wird nun bei Chagall wieder zu einem wichtigen Zeichen, das die Verbindung von dem Reich Jahwes zu den Menschen herstellt.


Die Leiter kommt immer wieder auch bei den Kreuzigungsdarstellungen vor, in denen die Menschen diese Leiter doppeldeutig zur Kreuzigung nutzen.[46] Auch am rechten Bildrand unseres Bildes hat Chagall die  Leiter als Grundlage für den senkrechten Kreuzbalken genutzt.


Nicht nur Engel schweben auf dieser Leiter auf und nieder. Chagall scheint auch die Vögel als gefiederte Zeichen für die Engel mit einzubeziehen[47]


Die drei großen Engel auf der Leiter sind nun auch in den Farben des „Kabod-Gelb“, des „Enthusiasmus-Grün“ und des „Transzendenz-Blau“ dargestellt. Jakob ist ganz in das „Agape-Rot“, wie Abraham, eingebunden. Dieses Rot findet sich auch in dem Opfer-Bock wieder, den ein Engel zu Abraham und Isaak bringt.


Im Wachzustand plant Jakob dann das zukünftige Heiligtum (Gen 28,22) das „Haus Jahwes  Bethel“ in dem Jahwe mit seinem Sabbat-Licht, dem Zeichen für den „Kabod JHWH[48], wohnen kann.
 

Hat Chagall als Grundlage für seine Bildkomposition wieder Buchstaben des Wortes „Beth-el“, das Beth  ב, in der rechten Bildhälfte[49] und das Aleph א verbunden mit dem Lamed ל in der linken Bildhälfte genommen? 

 


5.9. DER KAMPF JAKOBS MIT DEM ENGEL
Gen 32, 23-31


Im Mittelpunkt des Bildes DER KAMPF JAKOBS MIT DEM ENGEL steht der Kampf Jakobs mit dem Boten Gottes. Der Bote kommt, wie bei der ERSCHAFFUNG DES MENSCHEN, von links oben aus der Sphäre Gottes. Nun aber stellt sich der Mensch, der bei der "Erschaffung" völlig apathisch, teilnahmslos war, dem Boten Gottes in den Weg.


Marc Chagall versteht es in diesem Bild besonders gut, den demütig den Segen Gottes empfangenden und gleichzeitig den sich aggressiv in den Weg stellenden, fordernden und zugleich ängstlichen vor den Spitzen ausweichenden Jakob darzustellen.


Der Bote Gottes ist sehr erhaben dargestellt, nur die Flügel zeigen die Erregung des Kampfes an. Er segnet Jakob mit der rechten Hand, während er ihm mit der linken den Weg in die bedrohte Welt weist.


Jakob ist in der blauen Transzendenzsphäre, die das himmlische Reich von der irdischen Welt trennt. Will er zum Baum des Lebens gelangen, der schon fast erreichbar scheint? Der Bote Jahwes aber verwehrt ihm den Weg. Jakob wird wieder zurückgeschickt. Viel Leid wird er noch ertragen müssen. Die spitzen Pfeile sind gegen ihn gerichtet. Jakob, der nun Israel genannt wird, wird weiter den Kampf bestehen müssen, der sich über den Häusern von Witebsk auch heute noch austobt. Manchmal ist Gott verborgen in einer dunklen Wolke, wie rechts oben auf dem Bild. Aber Jahwe ist da, in dem Doppel-Jod     ייund in seinem Boten. Der Segen Jahwes kann weitergegeben werden.


Aber Jakob-Israel hat den Segen Gottes (hier in der Farbe Violett dargestellt [50]) erhalten.
Was aber wird das für eine Geschichte in dieser Welt werden? Das Bild versucht eine Antwort darauf zu geben!


In der linken oberen Ecke hat Chagall das liebende Paar unter dem roten Baldachin dargestellt. Hier sind es wohl Jakob und Rahel am Brunnen. Nach chassidischer Lehre ist in der Einung der Liebe auch die Einung zwischen Gott und der Welt dargestellt. In der Bibel des Gottesvolkes, dem Gesetz und die Propheten, besingt das Hohelied diese Einung, die in den Liebesliedern die Liebe und die Werbung Gottes um die Welt zeigen.


Jakob, der nun den neuen Namen „Israel“ = Gottesfechter - Gottesstreiter bekommt, wird nun Zeichen für das kommende Leiden und die Trauer um den Segen Jahwes für das ganze Gottesvolk.


Dieses Geschehen spielt sich nun nicht nur in der biblischen Zeit ab, es spielt auch in unserer heutigen Zeit.
Chagall hat dies dargestellt, indem er sich und den WANDERNDEN JUDEN rechts oben am Rand als Zuschauer darstellt. Auch die Häuser von Witebsk sind in diesen Kampf Gottes mit seinem Volk betroffen. Sie haben diese schwere Last auszuhalten.


Chagall scheint als Kompositionsgrundlage für sein Bild den hebräischen Buchstaben Ajin ע      genommen zu haben.
 


5.10. MOSE VOR DEM BRENNENDEN DORNBUSCH

Ex 3 u 4; Ex 14 und 20


Zum Exodus, dem Auszug des Volkes Israel aus Ägypten, hat Chagall neben den Radierungen und Gouachen 1966 eine eigene Reihe von Lithographien unter dem Namen EXODUS herausgebracht. Im Bild 10 der MBMC verarbeitet er nun einige der Bildideen zu einem der großen Genrebilder.


Im Bild 27, der Grafik GOTTES ANRUF AN MOSE in der Ausgabe BIBLE von 1956, hat Chagall  יחוח JHWH richtig geschrieben. Von nun an wird der Name Jahwes von den Menschen gekannt und darf doch nicht richtig ausgesprochen werden. Hat Chagall darum in dem großen Ölgemälde der MBMC die Schriftzeichen wieder weggenommen? In den die Jahwefarben Gelb, Blau, Weiß, Rot (hier wohl das sehr viel hellere Rot des Opfers) darstellenden Lichtkreis hat Chagall einen grünen Jahwe-Boten dafür gemalt. Ex 3, 2: „Und der Engel des Herrn erschien ihm in einer feurigen Flamme aus dem Dornbusch.“[51]


Dieser Jahwe-Engel wird ab Ex 3,4 selber zu dem Herrn, der sich offenbart. Chagall malt nun diesen Jahwe- Engel im „enthusiasmierten Grün“. (siehe Anmerkung 19) Dieser Engel weist nun den in dem „epihanieweiß“-strahlenden Mose zurück nach Ägypten zu seinem Bruder und damit zu seinem Volk, und er weist ihn nach vorne[52] in die Zukunft, über das Meer bis hin zu der Offenbarung der Gebote Ex 20.
Mose übernimmt hier die Stelle des mal´ak Jahwe des Boten des Herrn, der das Volk wohlgeordnet (Ex 13,18) aus Ägypten durch das Schilfmeer führt.


Bei diesem Bild fällt auf, dass Chagall nicht mehr mit den Buchstaben יחוח - JAHWE arbeitet, die in den Grafiken eine große Rolle spielten: Zwar kann man in der rechten oberen Ecke einen schwarzen Mond und, wenn man will, noch einen weiteren erkennen, aber hier, in diesem Bild, würde sich doch ein Bildaufbau mit den JAHWE-Buchstaben richtig aufdrängen. Hat er die oberen Balken der hebräischen Buchstaben in der oberen grünen Sphäre zusammengezogen und aus den fünf senkrechten Buchstabenbalken die drei (bzw. mit dem Aaron vier) senkrechten Bildelemente gestaltet?

 

 


5.11. MOSE SCHLÄGT WASSER AUS DEM FELSEN

Ex 17, 1-7


Dieses Bild braucht für unser Thema nur kurz abgehandelt zu werden, da es ein sehr irdisches Bild ist. Das drückt sich auch schon in der bisher kaum genutzten Erdfarbe „Braun“ aus. In diesem Braun des Landes, in dem Wasser wie „Milch und Honig fließt“, steht Mose in der blauen transzendentalen Zone und weist mit seinem Körper über den Berg hinaus, in die Sphäre der Sonne und des Lichtes Jahwes. Von hier spiegeln sich nun die Farben in dem Volk, die wir bisher besprochen haben. Ein Engel kündet wieder mit dem Schofar den Beginn der „eschatologischen Endzeit“ an, die aber nach unserem Bild, schon hier in diese Welt hinein wirkt. Dieses Bild bereitet damit das Thema des nächsten Bildes vor.

 


5.12. MOSE EMFÄNGT DIE TAFELN DES GESETZES
(Ex 19 und 20), Dtn 5,6-21


In dem letzten Bild des Hauptsaales der MBMC MOSE EMPFÄNGT DIE TAFELN DES GESETZES erfüllt sich was Chagall schon auf dem ersten Bild der ERSCHAFFUNG DES MENSCHEN im himmlischen Bereich durch Mose mit den Flügeln angedeutet hat: Mose empfängt die Tafeln des Gesetzes.


Im ersten Bild geschah das Ganze noch in der Zone des Jenseitigen im „Kabod JHWH“. Jetzt ist diese Sphäre der Transzendenz, der Gottesferne, von Jahwe selbst überwunden. Er selbst ist in das Diesseits gekommen, nicht in der Form eines Engels, sondern durch sein Wort und Gebot, das er dem Mose gegeben hat. Jahwe hat diesen neuen Anfang schon vom Anfang der Menschheitsgeschichte an geplant. Drückt dies Chagall so aus, indem er den ersten hebräischen Buchstaben, das Aleph א spiegelt ?


Mose kommt nun, wie der Engel im ersten Bild, aus der linken oberen Ecke herab. Aber auf diesem Weg empfängt er erst die Gebotstafeln von Jahwe. Dies ist eine Offenbarung ganz anderer Art, als dies bisher geschah. Chagall hat hier stärker die Version von Dtn 5, 4 ff dargestellt. Hier sagt Mose: „Von Angesicht zu Angesicht hat der Herr aus dem Feuer heraus mit euch geredet auf dem Berge - ich aber stand damals zwischen dem Herrn und euch, um euch die Worte des Herrn zu verkündigen; denn ihr waret voll Furcht vor dem Feuer und stieget nicht auf den Berg ...[53]. Mose ist nun wieder der irdische Bote mal`ak, der in dem gleichen Epiphanieweiß, wie die Wolke und der Berg, in einer Verbindung zu dem für das übrige Volk verborgenem Herrn steht. Hier ist die Menge des Volkes nicht, wie wir es meist gewohnt sind, um das Goldene Kalb versammelt. Die Menge des Volkes steht bei dem Herrn. Chagall hat die Szene mit dem Goldenen Kalb nicht niedergeschlagen, aber er hat auf diesem Bild sein Volk ganz anders dargestellt. So kennt er sie aus seinem Stetl, als er sich in seinem Buch MEIN LEBEN an sie erinnert: „Alle waren sie gute Juden.[54]


Auf diesem Bild hat er nun keine blaue Transzendenzfarbe, die durchdrungen werden muss, genutzt.

Gott ist bei seinem Volk, er steht bei ihm. Darum hat Chagall Jahwe in der rechten Ecke gemalt, wie bei dem Bild JAKOBS TRAUM VON DER HIMMELSLEITER. Das Stetl ist schon in die himmlische Sphäre der linken Ecke aufgerückt. Ein Engel trägt die Thora und bringt sie den Propheten und David. Aaron empfängt mit dem Sabbatlicht den Priesterlichen Segen (Num 6, 24 -26), darum ist er in Demut violett gemalt. Diesen Segen spiegelt das ganze Bild wider: „Der Herr segne dich und behüte dich! Der Herr lasse sein Angesicht über dir leuchten und sei dir gnädig! Der Herr erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden“.[55]

 

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Hans-Joachim Köhler, Oberpfarrer i. R. | hansjoachimkoehler@msn.com