Fundstücke:
Im Gottesdienst am 4. Advent in Oberhof hat Pfarrer Steinke aus Zella-Mehlis in seiner Predigt eine Geschichte erzählt, die er selbst geschrieben hat. Hier ist sie:
Auf der Suche nach dem eigenen Wert
Ich möchte eine kurze Geschichte von einer Frau erzählen. Immer hatte sie nur den Erwartungen von anderen entsprochen – es versucht jedem recht zu machen. Waren die anderen glücklich, war sie es auch. Waren sie traurig, so war sie am Boden zerstört. Ihr Selbstwert war vollständig von anderen abhängig. Da kam es, dass sie sich auf die Suche begab: auf die Suche nach ihrem Wert, nach ihrer Würde, nachdem, was ihr Dasein ausmachte.
So ging sie in ein riesiges Einkaufszentrum und gab dort viel Geld aus. Wenn sie etwas kaufte, wurde sie respektvoll behandelt und beraten. Wenn sie etwas kaufen konnte, fühlte sie sich wertvoll und geachtet. Aber schließlich hatte sie viele Dinge, die sie eigentlich gar nicht brauchte.
Dann verschenkte sie die Sachen wieder; machte anderen große Geschenke. Die Beschenkten freuten sich und machten ihr viele Komplimente. Doch als sie zuletzt nicht mehr so große Geschenke machen konnte, zogen sich die anderen zurück und sie stand wieder allein da.
Dann ging sie von einer Feier zur nächsten und feierte mit vielen Gästen; sie wurde als gute Gastgeberin gefeiert, trank sehr viel und hatte viel Spaß zusammen mit Freunden und Verwandten. Doch als die Feier um war, da blieb ihr nur der große Berg Abwasch und das Aufräumen.
Dann dachte sie ihre Würde in der großen weiten Welt zu finden und reiste in ferne Länder, lernte andere Menschen, andere Sitten und Bräuche kennen. Sie meditierte mit buddhistischen Mönchen, um zu sich selbst zu finden. Wenn sie unterwegs war, war sie glücklich, wenn sie die Ferne am Horizont sah, glaubte sie: Das ist alles nur für mich da. Darin besteht meine Würde. – Aber überall, wo sie hinkam, war sie nur Gast. Sie wurde zwar würdevoll behandelt, aber keiner wusste, wer sie in Wirklichkeit war – nicht einmal sie selbst!
Nachdem sie nun weit herumgereist war, erblickte sie neben prächtigen Bauten und Sehenswürdigkeiten eine kleine unscheinbare Kapelle: Als sie näher kam, vernahm sie eine Melodie. Es war ein Gesang. Ein Dutzend Christen sangen gemeinsam Loblieder – ganz ohne Orchester oder Instrument. Ihre Stimmen erfüllten die ganze Kapelle. Sie setzte sich dazu und wusste plötzlich: Hier war sie am Ziel ihrer Reise angekommen. Sie sang einfach mit und lobte Gott. Durch die Akustik erschien es ihr, dass ihre Seele mit den anderen gemeinsam in den Himmel getragen wurde. Während sie sang, begriff sie: Es war Gott, dem sie alles in ihrem Leben verdankte, der sie auf allen ihren Wegen begleitet und bis jetzt auf sie gewartet hatte.
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