"Seitdem ich..., um zu lesen und zu forschen, nach Thüringen gekommen bin"
(Brief 103)
Die Schule des Bonifatius im achten Jahrhundert
(Hans-Joachim Köhler)
Es ist eine unumstrittene Tatsache, dass Bonifatius in seinen Klöstern Schulen für Kinder gründete, wie er sie selbst in seiner Kinderzeit in den Klöstern Exeter und Nursling erfahren hatte.
Wir erfahren dies aus dem Brief Nr. 40 der Sammlung der Bonifatiusbriefe, in dem er die Verhältnisse des Klosters Fritzlar nach dem Tode Wigberts 746-747 n. Chr. ordnet.
Er schreibt:
„In väterlicher Liebe beschwöre ich Euer Liebden, darauf bedacht zu sein, dass Ihr die Regel mönchischen Lebens mit umso größerer Gewissenhaftigkeit beachtet, als unser Vater Wigbert gestorben ist. Der Priester Wigbert und der Diakon Megingoz sollen Euch über Eure Regel belehren, auf die Einhaltung der Gebetsstunden und den Ablauf des Kirchendienstes achten, die anderen anweisen, die Kinder lehren und den Brüdern Gottes Wort verkünden...“ [1]
Wigbert wurde von Bonifatius als Abt in Ohrdruf eingesetzt[2]. Er kann dies nur bis zum Jahre 732 gewesen sein, weil er dann als Abt in das von einer Missionsstation umgewandelte Kloster Fritzlar bis zu seinem Tode
738/746 (?) bezeugt ist.
Wir haben aber einen weiteren Nachweis über das Vorhandensein einer Schule in Thüringen. Es ist dies der Brief 103 nach Tangel aus der Sammlung der Briefe des Bonifatius. Bevor ich ihn zitiere, möchte ich noch auf die Entstehung der Briefe eingehen. Wir haben eine Sammlung von 150 Briefen des Bonifatius und des Lullus, die sie beide in ihrer Amtstätigkeit als Bischöfe und Erzbischöfe geschrieben haben. Lullus hat diese Zusammen-stellung dem Priester Willibald in Auftrag gegeben.
Wir wissen, dass dies nicht alle Briefe sind, die Bonifatius und Lullus geschrieben haben, denn bei der Ermordung des Bonifatius im Jahre 754 bei Dokkum sind schon einige Bücher und Briefe verloren gegangen und nachträglich wieder eingesammelt worden. Da können also manche Briefe durch die Reisen und wechselnden Aufenthaltsorte abhanden gekommen sein. Doch nun zum Brief 103, der ohne Namensnennung überliefert ist, Rau weist ihn aber dem Lullus zu. Da schreibt nun der Schüler an Bonifatius zwischen den Jahren 739-741:
„Ich bekenne also Dir, Teuerster meiner Lehrer, seitdem ich mit Erlaubnis Eurer Heiligkeit, um zu lesen und zu forschen(...), nach Thüringen gekommen bin, war es mir nicht möglich, mit solchem Eifer Sorgfalt auf das Lesen zu verwenden, wie ich wußte, daß ich es nötig hatte; denn zwei Gründe hinderten mich daran, die Augenschwäche und der Kopfschmerz, vor allem aber ein dritter Mangel in meinem Innern, nämlich die Trägheit des Geistes. Darum möge mir Eure Väterlichkeit erlauben, noch etwas länger hier zu bleiben, ....[3] “
Was sagt uns nun dieser Brief über die Ausbildung in den Klosterschulen des Bonifatius?
Erstens ist zu erkennen, dass hier zwar nicht der Ort Ohrdruf erwähnt ist, nachdem wir aber kein weiteres gesichertes Männer-Kloster des Bonifatius in dieser Zeit in Thüringen kennen, kann dieser Brief mit großer Wahrscheinlichkeit nur in Ohrdruf geschrieben sein.
So kann man die Klöster Amöneburg und Fritzlar in Hessen und Ohrdruf in Thüringen im zweiten Viertel des achten Jahrhunderts als die Stätten der kirchlichen Ausbildung des Bonifatius nachweisen, bis dann ab 744 Sturmius Fulda gründete und dieses Kloster durch die karolingische Renaissance die führende Rolle der Ausbildung in beiden Ländern übernahm.
Zweitens ist dies eine Stätte um zu „lesen und zu forschen", das heißt, hier wurde höhere Schulausbildung in Latein betrieben.
Dies wird auch bestärkt durch den Wunderbericht des Wigbert, geschrieben zwischen 932-936.
Dort steht im 17. Kapitel:
„In dem Ort, welcher Ordorph heißt, in dem ein altes Kreuzlein steht,
ist der heilige Wigbert gewesen, der den christlichen Geist in der Schule der Männer lehrte,…“
Natürlich ist die Schule des Bonifatius noch nicht mit den Universitäten des Mittelalters zu vergleichen.
Aber sie ist eine Vorstufe der klösterlichen Ausbildung der karolingischen Renaissance, die ihren Höhepunkt um 800 an der Hofschule Karl des Großen hatte und durch Alkuin repräsentiert wurde.
In dieser Zeit entwickelte sich das Kloster Fulda zu einer Hochburg der frühmittelalterlichen Schreibkunst.
Drittens ist aus den zitierten Bibelstellen zu erkennen, dass hier eine Bibelkunde und Bibelauslegung gelehrt wurde. Aber das erwartet man ja von einer Klosterschule sowieso und ein auswendiger Besitz von Bibelstellen ist bis heute die Grundlage aller Theologie.
Natürlich gehörte zur Ausbildung der Theologen, dass sie die verschiedenen Liturgien zur Ausgestaltung der Messen, Andachten, Taufen usw. kannten. Die Psalmen mussten sie zu den verschiedenen Chorgebeten auswendig können.
In den Briefen des Bonifatius kommt immer wieder zum Ausdruck, dass die in seinem Aufsichtgebiet vorhandenen Priester manchmal nicht einmal die Taufformel in der lateinischen Sprache beherrschten. Diesem Mangel musste mit einer gründlichen Ausbildung abgeholfen werden. Zur theologischen Ausbildung gehörte auch eine Predigtlehre. Von Bonifatius sollen 15 Predigten stammen, die aus dem frühen 8. Jahrhundert überliefert sind.Gesichert ist aber eine aufgeschriebene Predigt im Brief 10.
Hier schreibt Bonifatius im Jahre 716 an die Äbtissin Eadburg von Thanet über die Vision eines Mönches im Kloster Wenlock.
„… Du batest mich, geliebte Schwester, die wunderbaren Gesichte von jenem Wiedererweckten, der neulich im Kloster der Äbtissin Milburg starb und wieder zum Leben erwachte, die er geschaut hat, schriftlich aufzeichnen und übersenden zu lassen, so wie ich diese durch den Bericht der verehrungswürdigen Äbtissin Hildelida kennengelernt habe. Zunächst nun danke ich dem allmächtigen Gott, daß ich darin Deiner Liebden Wunsch unter Gottes Beistand um so vollständiger und zuverlässiger erfüllen kann, weil ich selbst mit dem erwähnten wiedererwachten Bruder, als er unlängst aus den Ländern jenseits des Meeres in unsere Gegenden kam, gesprochen habe und er mir bei einer besonderen Unterredung die erstaunliche Gesichte berichtet hat, die er nach der Entrückung aus seinem Leib im Geiste gesehen hat…"
Nun folgt die Vision als eine Nahtoderfahrung:
„…Er sagte nämlich, er habe infolge des Schmerzes einer heftigen Erkrankung plötzlich die Schwere des Körpers verloren. Und es sei ganz ähnlich im Vergleich, wie wenn die Augen eines Menschen mit sehendem und wachen Zustand plötzlich mit der dichtesten Decke verhülle und nun die Hülle plötzlich wegnehme und jetzt alles sichtbar sei, was bisher unsichtbar, verhüllt und unbekannt war. So sei ihm nach Entfernung der Hülle des irdischen Fleisches die ganze Welt vereinigt vor Augen gewesen, so daß er alle Länder, Völker und Meere der Welt mit einem Blick übersah. Und nach dem Austritt aus dem Körper hätten ihn die Engel in Empfang genommen, deren Klarheit und Glanz so groß war, daß er des allzugroßen Glanzes wegen keinesfalls zu ihnen aufschauen konnte. Diese sangen mit lieblichen und wohllautenden Stimmen: `Herr, strafe mich nicht in Deinem Grimm und züchtige mich nicht in deinem Zorn.`…“
Nun folgt sehr ausführlich die ganze Vision, die das Denken und die Theologie der damaligen Zeit und des Bonifatius widerspiegelt.
Viertens kann man aber aus diesem Brief noch lesen, dass es hier in Thüringen eine höhere philosophisch-philologische Ausbildung gab.
Woran erkennt man dies?
An dem Gedicht, das am Schluss des 103. Briefes steht. Es ist in lateinischen Versen gedichtet und es ist dem Bonifatius zur Verbesserung vorgelegt. Es soll also, wenn nicht zensiert aber doch begutachtet werden.
Hier gab es also eine Stilkunde für lateinische Verskunst. Dieses philosophisch-philologische Studium wird aber noch durch weiteres Wissen aus dem Leben des Bonifatius gestützt. Wir wissen aus weiteren Quellen, dass Bonifatius in England, im Kloster Nursling Lehrer der Novizen war. Dort hat er zur Ausbildung seiner angelsächsischen Schüler eine Metrik und eine Grammatik geschrieben. Diese sind erhalten.
Die Übersetzung
"Möge Dich der allmächtige Gott in dem Werk der Frömmigkeit wachsen lassen durch unablässiges Gewinnen vieler Seelen, damit Du, reich an Schätzen des Himmels, schließlich verdienst, Gottes erfreuliches Wort zu vernehmen : Guter und getreuer Knecht, nun steig empor zu deines Herrn und Gottes Freuden im Himmel. Weil du über weniges getreu gewesen warst, will ich Dich über viel setzen. Möge Dir diese Ruhe gesichert sein und ebenso die Rettung und Hoffnung mit Gottes Gnade, der alles geschaffen hat und als Herrscher des All lebt, auch früherist als alle Geschlechter, ohne Ende und ohne Anfang, dessen reichliche Milde mich Armen dazu brachte, Dich als Lehrer auszusuchen: als ich, niedergedrückt von der schweren Last meiner Schuld ohne Erleuchtung des Herzens umherirrte und das Nichtstun liebte, das ich für süß hielt, und das doch immerfür alle Seelen schädlich ist. Aber die Gnade des Heilands Christus hat das Dunkel von der gefühllosen Brust weggenommen, indem sie umsonst meinen törichten Sinnen fromme Gaben verlieh; dafür sei ihm Lob und Ehre ohne Ende. Und es wachse Dir, mein Führer auf dem richtigen Weg, der Lohn für Deine Mühe in der Himmelsburg und der Kranz für Deinen großen Geist, von dem ich doch nur der letzte Teil bin."
Das Figurengedicht aus der Grammatik des Bonifatius:
Wir können also davon ausgehen, dass Bonifatius hier in Ohrdruf auch seine Grammatik und Metrik weitervermittelt hat und Lullus in seinem Brief sich auf diese Ausbildung beruft.
Er schreibt selbst zu diesem Figurengedicht:
(Aus: von Padberg, Lutz E. a.a.O. S. 57)
„Nun habe ich auf die Titelseite meines Werkes ein Viereck gesetzt, das in der Mitte die Gestalt des heiligen Kreuzes und die Worte "Jesus Christus" darstellt. Das Viereck bietet, eingerahmt von zwei Versen, während andere quer laufen, in spielerischer Aneinanderfügung von Sätzen die Buchstaben, die einander entgegen zu lesen sind. Es ist aber dieses Viereck, wie du wissen sollst, gebildet in der Gestalt des Alten und Neuen Testaments. Die erste Hälfte dieses Vierecks, die unter Einschaltung gewisser Pentameter bis zur Mitte des Kreuzes herabreicht, ist gemalt in Zeilen, die zwar mit dem Ruderschlag des Versfußes vorüberziehen, aber doch offensichtlich keine Hexameter und überhaupt nicht tadellos in ihrem Ablauf sind. So strebte auch innerhalb des Alten Testamentes alles, weil halbvoll und unvollkommen, nach der Erfüllung des Gesetzes, d.h. zu dem gekreuzigten Christus. Nach dem Kreuz aber strömen in diesem Viereck tadellose Hexameter dahin: so ist auch durch Christi Gnade nach Empfang der Sündenvergebung alles in den richtigen Stand gebracht und vollendet.„
Diese nachweisbaren Zitate geben ein lebendiges Beispiel für die höhere Schulausbildung der Priester durch Bonifatius und Wigbert im achten Jahrhundert vor der karolingischen Renaissance in Thüringen.
[1] Zitiert nach Rau „Die Briefe des Bonifatius“ Darmstadt 1968 a.a.O. S. 119
[2] Aus der „Miracula s. Wigberthi“ um 936 n. Chr.: „...hautquaquam passus beatus Bonifatius tanti viri lumen unius loci tenebras ... dispulisse, monitu paterno ad alterium compulit migrare monasterium, quod Ordorph nominatur. Atque ibi successu simili desudans, quae perperam gerebantur correxit...“
Übersetzung:
“Keineswegs hat der selige Bonifatius – das Licht eines so großen Mannes – Schritte getan, um die Finsternisse eines einzigen Ortes zu zerstreuen; durch väterliche Ermahnung drängte es ihn, zu einem anderen (zweiten) Kloster zu gehen, welches Ohrdruf genannt wird. Und auch dort mühte er sich ab mit ähnlichem Erfolg und korrigierte die, die einen falschen (Weg) geführt wurden.”
[3]Zitiert nach Rau „Die Briefe des Bonifatius“ Darmstadt 1968